Hochschule Geisenheim University

Die Entwicklung der Königlichen Lehranstalt für Obst- und Weinbau zu Geisenheim zur Hochschule Geisenheim University

1872 wurde durch die Bemühungen Heinrich Eduard von Lades die Königliche Lehranstalt für Obst- und Weinbau zu Geisenheim gegründet. Dort waren bis 1971 Lehre und Forschung in diesen Bereichen vereint. 1971 wurden Forschung und Ausbildung institutionell getrennt und der Ausbildungsbereich mit seinen Studiengängen der neu gegründeten Fachhochschule Wiesbaden (heute: Hochschule RheinMain) zugeordnet.

Am Lehr- und Studienort Geisenheim gab es somit bis zum 31. Dezember 2012 die Forschungsanstalt Geisenheim und den Fachbereich Geisenheim der Hochschule RheinMain. Nachdem das Land Rheinland-Pfalz einen seit 1987 bestehenden Staatsvertrag zur gemeinsamen Finanzierung der Forschungsanstalt Geisenheim beim Land Hessen aufkündigte, wurde in den zuständigen Ministerien eine Lösung für den Standort Geisenheim diskutiert. Im Dezember 2011 wurde bekannt gegeben, dass beide Institutionen gemäß den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zu einer „Hochschule neuen Typs“ fusionieren sollen. Im Sommer 2012 wurden die rechtlichen Voraussetzungen durch Landesregierung und Parlament in Hessen geschaffen und das Hessische Hochschulgesetz entsprechend geändert. Mit dem 1. Januar 2013 wurde die Hochschule Geisenheim als 13. Hochschule des Landes Hessen formell gegründet.

150 Jahre Lehr- und Forschungsstandort Geisenheim – ein historischer Rückblick

Die Königlich Preußische Lehranstalt für Obst- und Weinbau, ins Leben gerufen von dem Geisenheimer Eduard von Lade, wurde am 19. Oktober 1872 feierlich eingeweiht. Am 01. August 1971 wurde die Fachhochschule Wiesbaden gegründet – am 01. Januar 2013 die Hochschule GEISENHEIM University.
Als man die Lehranstalt in Geisenheim 1872 und ähnliche Institutionen in Klosterneuburg (1860) und Weinsberg (1868) gründete, galt es, das revolutionäre Wissen eines Justus von Liebig, eines Julius Sachs oder eines Jean-Baptiste Boussingault auf dem Gebiet der Agrarwissenschaften zu vertiefen und an eine neue Generation von Praktikern und Wissenschaftlern weiterzugeben. In Geisenheim startete der Lehrbetrieb direkt im ersten Jahr des Bestehens mit sechs so genannten „Eleven“. Angeboten wurde ein „Höherer Lehrgang“ mit vier bis sechs Semestern für Gymnasiasten und Realschüler sowie ein „Praktischer Lehrgang“ über zwei Semester für Schüler der praktischen Gärtnerei.

1879 übernahm mit Rudolf Goethe, ein renommiertes „Multitalent“ in den Sparten Garten- und Weinbau, Pflanzenzüchtung sowie Pflanzenschutz das Amt des Direktors in Geisenheim. Unter seiner Leitung erlebte die Lehranstalt ihre erste Blütezeit. Während seiner 24 Jahre andauernden Amtszeit wurde für damalige Verhältnisse ein wahrer „Forschungscampus“ geschaffen. Eingerichtet wurden: ein Oenochemisches Institut (1881), eine Wetterstation II. Ordnung (1884), eine Obstverwertungsstation (1885), eine Rebenveredelungsstation (1890), die Hefereinzuchtstation (1894) und eine Pflanzenpathologische Versuchsstation (1900). In seiner Amtszeit nahm gleichzeitig die Zahl der Eleven, später „Hörer“ (Studenten), sowie die Zahl der so genannten „Kursisten“, Praktiker, welche in Geisenheim Weiterbildungskurse belegten, deutlich zu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts studierten bereits über 50 junge Menschen in Geisenheim, Tendenz stark ansteigend.

In diesem in punkto Lehre und Forschung prosperierenden Umfeld kam es 1882 durch Hermann Müller (später Müller-Thurgau genannt) zu den grundlegenden Kreuzungsversuchen für die heute weltbekannte und bedeutendste Neuzüchtung einer Rebsorte der Neuzeit: ‚Müller-Thurgau‘ (auch ‚Rivaner‘ genannt). Die Gründung der Hefereinzuchtstation unter Julius Worthmann, Schwiegersohn und Nachfolger von Rudolf Goethe, legte in dieser Zeit auch den Grundstein für die heute weltweit anerkannte Stellung der Geisenheimer Kompetenz zum Thema Hefekulturen bei der Gärung.

Auf Anregung Goethes wurde 1894 aus den Kreisen der Absolventen auch die Vereinigung Ehemaliger Geisenheimer (VEG) gegründet. Diese ist heute eine der ältesten Alumnivereinigungen Deutschlands und zählt im aktuellen Jahr weltweit über 2.500 Mitglieder.

1912 wurden in Geisenheim bereits folgende Lehrgänge angeboten: Weinbau, Obstbau, Obst- und Gartenbau und Gartenkunst. Die Anzahl der „Eleven“ betrug zu dieser Zeit 90 Studenten. Auch in der Forschung und deren Transfer in die Praxis des Garten- und Weinbaus und der Gartengestaltung setzte Geisenheim Maßstäbe.

1914 sorgte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die erste Zäsur in Geisenheim. Der Lehr- und Forschungsbetrieb wurde weitgehend eingestellt. Der Neubeginn 1919 war mühselig. Viele Studenten, Wissenschaftler und Mitarbeiter der Lehranstalt fielen im Krieg; zum Studienbeginn 1919 schrieben sich nur zwölf Eleven ein. Doch bereits 1920 begann man dem Negativtrend entgegenzuwirken. Umstrukturierungen, der gute Ruf aus der Vorkriegszeit sowie eine bedarfsgerechte Anpassung der Ausbildung führten bereits 1922 zu einer bemerkenswerten Gesamtanzahl von 2.765 „Hörern“ (Studenten) und immerhin 10.625 „Kursisten“ aus der Praxis seit Gründung der Forschungsanstalt.

1929 begann auch ein gewisser Gerhard Troost sein Studium an der „Höheren Staatlichen Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau“. Sein späteres wissenschaftliches Wirken sollte Geisenheim noch stark beeinflussen...

Mit der Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten 1933 änderte sich einiges in Geisenheim. Es kam zum Verbot bzw. zur Zwangseingliederung der VEG und den in Geisenheim etablierten Studentenverbindungen in NS-Organisationen. Franz Muth, Direktor von 1921 bis 1934, wurde durch Carl Friedrich Rudloff ersetzt. Schnell wurden an der „Versuchs- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau“ neue Forschungsakzente gesetzt, die unter anderem auch zu einem „Institut für Seidenanbau“ führten. Hier wurde bereits an Rohstoffgewinnung und autarker Eigenversorgung (in diesem Fall für Fallschirmseide, die das Militär benötigte) gearbeitet. Die von Rudloff gewünschte und aktiv betriebene Trennung von Forschung und Lehre und die Ausgliederung der Lehre aus Geisenheim konnte aber, nicht zuletzt durch das Engagement der Ehemaligen, verhindert werden.

Lichtblicke in diesen schwierigen Zeiten waren allerdings auch vorhanden, so z.B. in dem Beginn der wissenschaftlichen Arbeit eines Hugo Schanderl oder eines Gerhard Troost, welche den guten Ruf von Geisenheim als Forschungsanstalt aufrecht hielten.

Aus dem Zweiten Weltkrieg, der für Geisenheim eine schwere Zäsur bedeutete, ging die Forschungsanstalt mit nicht unerheblichen Zerstörungen in die Nachkriegszeit. Auch kamen Mitarbeiter der Forschungsanstalt ums Leben. Bereits 1941 kam der Lehrbetrieb vollständig zum Erliegen. Auf den Versuchsflächen musste bereits während des Krieges Gemüse zur Ernährung der Bevölkerung angebaut werden. Besonders stark waren davon die Villa Monrepos und ihre Gärten betroffen.

1946 kam die Forschungsanstalt als „Hessische Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau“ zum Land Hessen. Am 01. April 1946 fingen 80 Hörer mit ihrem Studium an. Studienrichtungen waren nun Weinbau und Kellerwirtschaft, Obstbau und Gemüsebau, Zierpflanzenbau sowie Gartengestaltung. Auch die Forschung wurde in Geisenheim neu aufgebaut oder erneuert. Professor Julius Koch sei hier beispielhaft für viele kreative Wissenschaftler und Dozenten zu nennen. Als Leiter des Instituts für Gemüse   und    Früchteverwertung baute er dieses nach dem Zweiten Weltkrieg wieder grundlegend auf und erwarb sich große Verdienste bei der Modernisierung des Bereichs der Gemüse- und Früchteverwertung und vor allem der Fruchtsafttechnologie. So verwundert es nicht, dass Julius Koch im Rahmen seiner späteren Tätigkeit in der Fruchtsaftindustrie vor allem als der Schöpfer von „Hohes C“ (erster konzentrierter und haltbarer Orangensaft in Flaschen) oder „Dr. Koch‘s Trink 10“ (erster Multivitaminsaft) in fachlicher Erinnerung bleibt.

Professor Gerhard Troost setzte in der Nachkriegszeit ebenfalls neue Maßstäbe: Die „Bibel des Weinbaus“, das Grundlagenbuch „Technologie des Weines“ erschien erstmals 1953 und liegt mittlerweile in der 6. Auflage vor. Ebenfalls sehr bekannt ist sein im Jahr 1980 erschienenes Buch „Sekt, Schaumwein, Perlwein“. Auf Troosts Initiative hin wurde mit einem eigenen Fachgebiet Kellerwirtschaft auch dieser Teil des Weinbaus stärker als zuvor gewichtet. Als dessen Leiter und als Professor der Fachhochschule Wiesbaden ging Troost nach über 42 Jahren Tätigkeit in Geisenheim in den wohlverdienten Ruhestand.

In den 1950er Jahren stieg die Zahl der Studierenden wieder so stark an, dass es von 1951 bis 1957 sogar Aufnahmeprüfungen gab. 1960 wurde das sechssemestrige Studium in Geisenheim eingeführt – Geisenheim wurde somit zur Ingenieurschule. Zu den bisherigen Geisenheimer Forschungs- und Lehrgebieten gesellte sich 1968 auch die neue Fachrichtung „Getränketechnologie“. Damit einhergehend wurde nach 90 Jahren die Technikerausbildung abgeschafft. Auch der Campus Geisenheim wurde weiter ausgebaut: Mitte der 1960er Jahre geplant und 1967 eingeweiht war das „Neue Institutsgebäude“ mit modernen Laboratorien und mehr Platz für Forschung und Lehre ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung.

Eine dritte, diesmal zum Glück friedlichere, Zäsur fand in Geisenheim am 01. August 1971 für die Bereiche Forschung und Lehre statt. Nach längerer Diskussion im Vorfeld wurde Ende der 1960er Jahre die Gründung der Fachhochschulen vorbereitet, die eine Überführung der Ingenieurschulen in den Hochschulbereich ermöglichte. Die Ingenieurschule Geisenheim sollte zur neu zu gründenden Fachhochschule Wiesbaden kommen; hier war die Einrichtung von zwei Fachbereichen, Weinbau und Getränketechnologie sowie Gartenbau und Landespflege, vorgesehen. Am 01. August 1971 war die Neugründung dann letztendlich vollzogen und der Lehrbetrieb in Geisenheim ging auf die Fachhochschule Wiesbaden über. In Geisenheim existierten nun zwei Fachbereiche der Fachhochschule Wiesbaden und die nunmehr nur noch rein forschungsmäßig arbeitende Forschungsanstalt Geisenheim – eine Trennung, die manch ein Geisenheimer Studierender nie so richtig begriffen hat.

Die folgenden Jahre waren geprägt von der Anpassung der beiden Institutionen an die neuen Rahmenbedingungen und an den unvermindert anhaltenden Anstieg der Studierendenzahlen. Seit der Mitte der 1980er Jahre gab es Pläne zum umfangreichen Ausbau des Campus Geisenheim. Erste vollzogene und für die auch weiterhin herausragende Stellung von Geisenheim wichtige Schritte waren der Neubau der Fachgebiete Weinbau und Kellerwirtschaft, des Technikums beim Fachgebiet Rebenzüchtung und Rebenveredlung und der modernen Gewächshausanlagen für mehrere Fachgebiete, allen voran Gemüsebau und Zierpflanzenbau. Dazu gesellte sich 1999 das neu konzipierte Campusgebäude mit Mensa, Bibliothek, Hörsälen und schließlich 2009 das Zentrale Instituts- und Laborgebäude mit modernster Geräteausstattung und Praktikumsräumen für alle Geisenheimer Studiengänge.
Unübersehbar schreiten die Neubauten fort, im Bau befinden sich nun ein Gebäude für den Bereich Logistik Frischprodukte, ein Praktikumsgebäude für den Studiengang Lebensmittelsicherheit, ein neues Hörsaalgebäude sowie ein Getränketechnologisches Zentrum.

Auch neuen Forschungsthemen stellte man sich: wichtige Schwerpunkte fanden sich in der Ökophysiologie, sowohl im Garten- als auch im Weinbau, im Sektor Umweltstress, im Bereich der nachhaltigen Produktion, im ökologischen Weinbau, beim Ressourcenmanagement, bei der Erforschung wichtiger Inhaltsstoffe in Produkten des Weinbaus, der Getränketechnologie und des Obst- und Gemüsebaus sowie bei der Klimaforschung. Letztere hat durch den Bau des weltweit ersten FACE (Free Air Carbon Dioxide Enrichment) für Spezialkulturen als Klimaforschungsinfrastruktur einen großen Schub erhalten.

Am 01. Januar 2013 wurden in Geisenheim Forschung und Lehre wieder unter dem Mantel einer Hochschule „neuen Typs“ vereint. Die Studierendenzahlen sind mittlerweile bei über 1800, es wurden weitere Studiengänge etabliert und auch die Anzahl der Promotionen sind gestiegen.
Die neue „Hochschule GEISENHEIM University“ wird mit den in ihrer 150-jährigen Geschichte reichhaltig gemachten Erfahrungen weiterarbeiten und auch zukünftig einen Spitzenplatz im Wein- und Gartenbau, in der Landschaftsarchitektur und in der Getränketechnologie erlangen.