Weintourismus als stabilisierender Faktor in Zeiten des Wandels
Nach der Begrüßung durch den Präsidenten der Hochschule Geisenheim, Prof. Dr. Hans Reiner Schultz, erläuterte Sabine Nebel, Prokuristin der RTKT, die Zielsetzung der Studie. Vor dem Hintergrund struktureller Veränderungen im Weinbau – vom Klimawandel bis zum veränderten Konsumverhalten – komme dem Weintourismus eine zentrale Rolle zu.
Prof. Dr. Gergely Szolnoki ordnete die Ergebnisse zunächst international ein und stellte zentrale Erkenntnisse des Global Wine Tourism Report 2025 vor, bevor er gemeinsam mit Dr. Maximilian Tafel die spezifischen Resultate für den Rheingau präsentierte.
Wer sind die Gäste im Rheingau?
94 Prozent der befragten Gäste stammen aus dem Inland, vor allem aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die Studie unterscheidet drei Besuchertypen: Primär-, Sekundär- und Nicht-Weintouristen. Während 76 Prozent der Befragten während ihres Aufenthalts kein Weingut besuchten, gaben 24 Prozent an, ein oder mehrere Weingüter besucht zu haben. Für die Hälfte der Weingutsbesucher ist Wein eine wichtige oder sehr wichtige Reisemotivation – Prof. Dr. Szolnoki kategorisiert sie daher als Primär-Weintouristen.
Auffällig: 29 Prozent der Weingutsbesuche erfolgten spontan oder zufällig, etwa durch Ausschilderung, und waren nicht im Vorfeld geplant. Insgesamt liegt die durchschnittliche Zahl der besuchten Weingüter bei lediglich 0,6 pro Aufenthalt – ein Hinweis auf bislang ungenutztes Potenzial.
Klare Unterschiede bei Zielgruppen und Reiseverhalten
Primär-Weintouristen sind überwiegend Männer unter 35 oder zwischen 50 und 65 Jahren, häufig aus Nordrhein-Westfalen, mit hohem Bildungsabschluss. Sie kaufen bevorzugt direkt beim Winzer ab Hof. Sekundär-Weintouristen sind ebenfalls mehrheitlich männlich, meist zwischen 50 und 65 Jahre alt, kommen vor allem aus Rheinland-Pfalz und Bayern und verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen. Nicht-Weintouristen stammen überwiegend aus Hessen und kaufen ihren Wein hauptsächlich im Einzelhandel.
Nach den SINUS-Milieus betrachtet, sind im Rheingau neben dem konservativ-gehobenen und postmateriellen Milieu zunehmend auch jüngere Zielgruppen wie die adaptiv-pragmatischen und die expeditiven Milieus unterwegs – insbesondere unter den Primär-Weintouristen. Bei den Sekundär-Touristen findet sich zudem das nostalgisch-bürgerliche Milieu, das Szolnoki als klassische Bus- oder Schiffstouristen beschreibt.
Übernachtung, Mobilität und Zufriedenheit
Die Befragten verteilen sich zu gleichen Teilen auf Tages- und Übernachtungsgäste. Während 86 Prozent der Primär-Weintouristen in der Region übernachten, sind es bei den Nicht-Weintouristen lediglich 38 Prozent. Übernachtet wird überwiegend in Hotels, die Anreise erfolgt meist mit dem Pkw. Nicht-Weintouristen sind häufiger mit dem Fahrrad (19 Prozent), dem Reisebus (6 Prozent) oder dem ÖPNV (11 Prozent) unterwegs – letzterer landet jedoch bei der Bewertung der Mobilitätsangebote auf dem letzten Platz.
Die Zufriedenheit mit den Angeboten der Region ist insgesamt sehr hoch: Wanderwege, das Weinangebot, Gastronomie und Ausflugsziele erreichen im Schnitt rund 4,4 von 5 möglichen Punkten. Als wichtigste Reisemotive nennen die Gäste Natur und Landschaft, gefolgt von Genuss (Essen und Trinken), Erholung und erst an vierter Stelle den Wein.
Hohe Wertschöpfung durch Weintourismus
Die wirtschaftliche Bedeutung des Weintourismus wird in der Studie klar quantifiziert: Primär-Weintouristen generieren eine durchschnittliche touristische Wertschöpfung von 174 Euro pro Tag als Tagesgäste und 197 Euro pro Tag als Übernachtungsgäste. Demgegenüber stehen 52 Euro bei Tagesgästen ohne Weingutsbesuch und 114 Euro bei entsprechenden Übernachtungsgästen. Insgesamt beziffern Tafel und Szolnoki die touristische Wertschöpfung im Rheingau auf rund 300 Millionen Euro Bruttoumsatz jährlich – dies entspricht dem Einkommen von etwa 3.446 Bezieherinnen und Beziehern eines durchschnittlichen Primäreinkommens der Branche. Davon sind ca. 20 Prozent auf Weintourismus zurückzuführen.
Ausblick: Qualität, Vernetzung und neue Angebote
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass im Weintourismus ein zentraler Hebel für Kundenbindung, Sichtbarkeit und regionale Wertschöpfung liegt. Die Studienautoren leiten gemeinsam mit den Teilnehmenden konkrete Handlungsempfehlungen ab: Weintouristische Angebote müssen gezielt weiterentwickelt, bestehende Potenziale besser genutzt und Kooperationen – auch über Regionsgrenzen hinweg – ausgebaut werden, etwa durch gemeinsame Weinreiseangebote mit anderen Weinregionen.
„Weintourismus ist kein Nebenschauplatz, sondern ein entscheidender Zukunftsfaktor für den Rheingau. Grundsätzlich sei man mit der Wahl der fokussierten Zielgruppen, den Kernthemen der Region gut aufgestellt. Dennoch müsse man über die Erweiterung des Zielgruppen-Portfolios – gerade im Bereich des hochwertigen Bus- und Schiffstourismus – nachdenken. Ziel sei es, Weinerlebnisse zu schaffen, persönliche Bindung herstellen und am klassischen Empfehlungs- und Resonanz-Marketing arbeiten“, so das Fazit von Dominik Russler und Prof. Dr. Szolnoki zur Veranstaltung. Die Studie liefert dafür eine belastbare Grundlage und wichtige Impulse für eine qualitativ hochwertige, verantwortungsvolle Weiterentwicklung der Region als Wein- und Tourismusdestination.




