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„Missverständnisse auf beiden Seiten“

Ein Deutschägypter vermittelt zwischen Einheimischen und Ausländern

Missverständnisse zwischen Einheimischen und Zuwanderern können wegen ganz harmloser Sätze entstehen. „Der Spruch ‚Hals- und Beinbruch‘ ist so ein Beispiel. Ein Ausländer kann das leicht als Beleidigung verstehen, obwohl es gar nicht so gemeint ist“, erklärt Moustafa Selim. Der 39 Jahr alte Deutschägypter ist nach seinen Worten ein „Kulturvermittler“. Er erklärt auf seinen Veranstaltungen, „wie Araber ticken“. Oft hören ihm Menschen zu, die mit Flüchtlingen arbeiten.

Umgekehrt hat er auch schon Zuwanderern die deutsche Kultur nähergebracht. Selim weiß: „Es gibt viele Missverständnisse auf beiden Seiten.“ Beispielsweise sei es für Deutsche, die bei Flüchtlingen eingeladen sind, oft irritierend, dass nur mit einem Löffel oder gar mit den Händen gegessen wird.

Eigentlich ist Selim Naturwissenschaftler. In seiner Heimat Ägypten hat er als Forscher gearbeitet und kam durch ein Stipendium nach Deutschland. Er machte hier den Master und bekam eine Stelle an der Hochschule Geisenheim im Rheingau. „Meinen Doktor habe ich dann über Riesling gemacht – obwohl ich als Moslem selbst gar keinen Wein trinke“, sagt er und lacht laut. Selim beschäftigt sich in seiner Doktorarbeit mit Pflanzenkrankheiten.

Zur Arbeit mit Flüchtlingen kam er durch eine Kollegin. Sie hatte ihn, der an seiner Hochschule bereits Integrationsbeauftragter war, empfohlen, als die Kirche in Geisenheim einen Übersetzer suchte. „Dabei habe ich festgestellt, dass es vieles gibt, was man erklären sollte.“

Zu seiner ersten kleinen Veranstaltung über interkulturelle Kommunikation kam die örtliche Zeitung und berichtete. „Seitdem bekomme ich ständig Aufträge, es ist wie ein Schneeballeffekt.“

So war es auch bei Anette Keim, Leiterin des Integrationsbüros von Mörfelden-Walldorf, die Selim für eine Veranstaltung buchte. „Ich bin durch einen Zeitungsartikel auf ihn aufmerksam geworden“, sagt sie. Mit dem Vortrag sei sie sehr zufrieden gewesen: „Es war gleichermaßen unterhaltsam wie informativ. Aus unserer Sicht ein guter Weg, das Fremde etwas weniger fremd zu machen und kulturelle Unterschiede mit Humor statt mit Ablehnung zu betrachten.“ Für sein Engagement wurde Selim bereits ausgezeichnet: Im Jahr 2016 bekam er den Demographie-Preis des Rheingau-Taunus-Kreises in der Kategorie „Integration durch Eigeninitiative“.

Als Kind sei er der einzige Schwarze in seiner Klasse in seiner Schule in Kairo gewesen, erzählt Selim. Er ist Nubier. „Wer wissen will, was das genau ist, dem empfehle ich ‚Asterix und Kleopatra‘“, sagt er dazu gerne bei der Vorstellung zu Beginn seiner Veranstaltung.

Ob ihn Bilder wie zuletzt aus Chemnitz an seiner Arbeit verzweifeln lassen? Im Gegenteil: „Das ist für mich sogar ein Ansporn und ein Grund dafür, damit weiterzumachen.“ Außerdem sage er den Flüchtlingen immer, sie sollten sich auch die Bilder der Gegendemos anschauen. Und: „Es gibt Millionen Flüchtlingshelfer, da sind Menschen wie jetzt in Chemnitz deutlich in der Unterzahl.“

Er mache den Zuwanderern deutlich, dass nicht gleich jeder, der etwas gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik sage, ein Rassist sei. „Man muss andere Meinungen auch aushalten können – natürlich aber nur, solange das alles nicht mit Gewalt verbunden ist.“

Die Entwicklung der Zugezogenen, mit denen er zu tun hat, sieht er sehr positiv. „Alle Flüchtlinge, die ich kenne, haben einen Arbeitsplatz oder einen Praktikumsplatz“, sagt er. „Einige tun sich noch schwer mit der Sprache, aber das wird bei den meisten klappen.“ Moustafa Selim weiß, wovon er spricht: Er selbst hat nach seiner Ankunft in Deutschland vier Monate lang einen Sprachkurs besucht und dann über seine sozialen Kontakte Deutsch gelernt.

Eine Zeit hatte Selim die doppelte Staatsbürgerschaft, seit 2014 ist er Deutscher. „Aber ich bleibe auch immer Ägypter“, sagt er und ergänzt: „Dich habe beide Kulturen in mir drin, und ich bin auch stolz auf beide.“ Eine Sache ist an Selim allerdings inzwischen wirklich typisch deutsch: seine Pünktlichkeit. „Vor einem Jahr war ich in Kairo und habe zu einem Freund gesagt, dass ich in etwa 20 Minuten bei ihm sein würde.“ Mit dieser Zeitangabe könne in Ägypten allerdings niemand etwas anfangen, sie sei viel zu genau. Und deshalb habe er zu hören bekommen: „Mensch, du bist wirklich richtig deutsch geworden!“

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de

Kategorien: Integrationsbeauftragter