Aktuelles aus dem Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau

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Mezcal – Eine facettenreiche Spirituose

Jan Hendrik Giersiepen bei der Agavenernte, Bildquellen: Porfirio Gallegos Casillas und Jan Hendrik Giersiepen

Ein Bericht von Jan Hendrik Giersiepen.

Im Sommer 2016 habe ich mich für mein studentisches Pflichtpraktikum bei einer Spirituosenfirma in Mexiko beworben. Ein Grund war, dass ich gerne die Heimat meiner mexikanischen Frau von einer anderen Seite kennenlernen wollte. Statt mehrwöchige Ferienbesuche, wollten wir gemeinsam das volle Eintauchen in den dortigen Alltag erleben. Durch das Praktikum konnten wir somit im kleinen Rahmen zuerst einmal probieren, wie es funktioniert und ob sich längerfristige Perspektiven für uns ergeben. Das Ganze hat letztendlich so gut funktioniert, dass ich schon während meines Praktikums ein Angebot auf eine Vollzeitstelle bekommen habe, wo ich auch heute noch als Manager Process Engineering and Projects arbeite.

In Geisenheim habe ich Herrn Prof. Dr. Dietrich, dem damaligen Leiter der Veranstaltung „Spirituosen“, von meinem Vorhaben erzählt. Schnell ist die gemeinsame Idee entstanden, zusätzlich zum Praktikum in Mexiko auch meine Abschlussarbeit anzufertigen. Das Thema Mezcal wurde zwar in der Vorlesung im Rahmen der Agavenspirituosen aufgriffen, war aber zu dem damaligen Zeitpunkt in Deutschland und Europa nur sehr wenigen Liebhabern ein Begriff. Heute findet man bereits in vielen angesagten Bars oder gut sortierten Spirituosenläden, auch in kleineren Städten, verschiedene Mezcals im Sortiment. Sowohl das Land Mexiko als auch Agavenspirituosen sind aktuell auf beiden Seiten des Atlantiks voll im Trend. In den USA hat das Phänomen bereits den Massenmarkt erreicht; vor circa einem Jahr wurde beispielsweise die Mezcal- und Tequilamarke von George Clooney für eine Milliarde US-Dollar verkauft. Somit kam der Vorschlag, meine Thesis zum Thema Mezcal zu erarbeiten für mich zum richtigen Zeitpunkt. Bald war klar, dass die zentrale Fragestellung der Thesis vor allem die wichtige Frage beantworten sollte: Was ist überhaupt Mezcal? Und daraus abgeleitet: Inwiefern unterscheidet sich Mezcal überhaupt von Tequila?

Wie der Zufall so wollte, wurde mir angeboten, mein Praktikum in einer Mezcalfabrik in Puebla zu verbringen. Die Produktionsstätte – in Mexiko „Fábrica de Mezcal, Palenque oder auch Vinata“ genannt – war zu Praktikumsbeginn erst seit einem Monat fertiggestellt, weshalb ich dort alles von Anfang an miterleben durfte. Damit wurde ich schon zu Beginn meines Praktikums sprichwörtlich ins kalte Wasser geworfen: von Puebla aus ging es mehrmals die Woche eine Stunde Fahrtweg, davon die Hälfte Off-Road, in ein Dorf mit 500 Einwohnern. Ziel war es die Produktion zu optimieren, Potential in den jeweiligen Prozessschritten zu finden und für verschiedene Probleme eine angemessene technologische Lösung zu finden. Ein wichtiges Element war auch die Schulung und Kommunikation mit dem operativen Personal in der Fabrik. Hier traf traditionelles praktisches Wissen auf frische Theorie aus dem Studiengang Getränketechnologie. Auf beeindruckende Weise war das empirische Wissen des Personals dem technologischen Know-How aus der Universität in vielen Bereichen sehr ähnlich – die Zusammenhänge wurden lediglich auf andere Weise beschrieben, das Prozessverständnis war aber tatsächlich meist auf Augenhöhe, in vielen Fällen habe ich neue Dinge gelernt oder eine andere Sichtweise kennengelernt. Dies hat mir nachhaltig geholfen einen Überblick hinsichtlich der Spirituose Mezcal zu gewinnen. Zudem wurde mir während meines Praktikums ermöglicht, weitere Mezcalproduktionsstätten in ganz Mexiko kennenzulernen. Mein direkter Chef, Dr. Iván Saldaña Oyarzabal, war von der Idee einer globalen Thesis rund um die Spirituose Mezcal begeistert. Er selbst hat über bestimmte besondere biologische Mechanismen der Agavenpflanze promoviert und gilt in Mexiko als einer der wenigen wissenschaftlichen Experten auf dem Gebiet des Mezcals. Hieraus ist auch die Idee entstanden, dass meine Thesis als Kooperationsprojekt von beiden Seiten des Atlantiks fachlich betreut wurde: Herr Prof. Dr. Dietrich als Referent und Herr Dr. Saldaña als Korreferent. Diese einzigartige Mischung aus theoretischer und praktischer Expertise war eine großartige Unterstützung, um aus wissenschaftlicher Sicht der Frage nachzugehen, was eigentlich Mezcal ausmacht.

In seiner Herstellung und als Getränk selbst berührt Mezcal sehr viele Dimensionen, die weit über die Getränketechnologie hinausgehen. In vielerlei Hinsicht handelt es sich dabei um interdisziplinäre Komponenten, wie die besondere Biologie der Agavenpflanze, welche wiederum unmittelbar Auswirkungen auf den Prozess hat. Hinzu kommt eine kultur-historische und eine sozial-religiöse Komponente, die eng mit den Agavenpflanzen und somit dem Mezcal verbunden sind. Vermutlich sind nur wenige Spirituosen so eng mit dem Herkunftsland – und das auf verschiedenen Ebenen – verbunden, als Mezcal. Während meiner Abschlussarbeit bin ich zu dem Schluss gekommen, dass genau diese komplexe Diversität die Spirituose Mezcal ausmacht; dazu jedoch später mehr.

Bei Mezcal handelt es sich um eine Agavenspirituose. Hierbei können von dieser sukkulenten Pflanze, die zu den Spargelgewächsen zählt, alle Arten zur Spirituosenproduktion verwendet werden. Sie ist in ganz Amerika von Norden bis Süden heimisch, jedoch konzertiert sich die größte biologische Diversität auf Mexiko. Bereits vor 11.000 Jahren wurden Agaven dort vom Menschen genutzt und später auch domestiziert, was die heutige Vielfalt teilweise erklärt. Im Gegensatz zu Früchten, die meist direkt vergärbare Zucker enthalten, konzentriert die Agave über fünf bis 25 Jahre Zucker in Form von Fructosepolimeren. Diese sogenannten Fructane funktionieren analog zu Stärke als Speicherkohlenhydrate für die Pflanzen. Sie sind ähnlich komplex aufgebaut, jedoch statt miteinander verknüpften Glukosemolekülen wie bei Stärke, handelt es sich dabei um komplexe Fructosepolimere. Anders als Stärke, wird der Zucker in Agaven nicht durch Enzyme aufgeschlossen, sondern durch einen thermischen Prozess. Die 50 bis 400 kg schweren Agavenherzen (piñas) werden meist in einer Art konischem Erdmeiler, in dem zuvor Vulkansteine durch ein Feuer erhitzt wurden, auf einander geschichtet. Der Meiler wird mit Palmendecken und Erde luftdicht abgeschlossen. Für drei bis sechs Tage sind die Agavenherzen somit einer Hitzequelle ausgesetzt. Nach diesem Zeitraum wird der Meiler wieder geöffnet – die piñas sind nun einerseits wesentlich weicher und somit leichter zu verarbeiten. Andererseits bewirkt die Hitze und der entstehende Wasserdampf, dass die Fructane gespalten werden und vergärbare Fructose-Zuckermoleküle zur Verfügung stehen. Ähnlich wie nach dem Einmaischprozess beim Bier, schmecken die Agaven nun sehr süß (je nach Art liegt der Zuckergehalt bei 10 bis 30° Brix). Der Erdmeiler ist auch eine aromatische Komponente: je nach verwendeter Holzart, wird den Agaven ein mehr oder minder starkes Raucharoma verliehen. Zudem karamellisieren dabei einige Zucker, was eine zusätzliche Geschmackskomponente einbringt. Der Erdmeiler ist die üblichste Variante, die Zucker aufzuschließen. Es gibt jedoch auch Fabriken, die mit dampfbetriebenen Backsteinöfen oder Autoklaven arbeiten und somit zu geschmacklich unterschiedlichen Resultaten führen. Neben den Primäraromen aus der Pflanze (typisch sind: Zitrus, Kräuter, harzig) und den zusätzlichen aromatischen Einflüssen des thermischen Prozesses (Karamell und Rauch), spielt die Gärung im Mezcal eine nachhaltige sensorische Rolle. Im Gegensatz zum Wein und anderen Gärgetränken, gibt es keine kommerziellen Reinzuchthefen auf dem Markt, die gezielt eingesetzt werden können. Meist wird eine Spontangärung durchgeführt oder zusätzlich mit einem vorher angesetzten Spontanhefeansatz beimpft. Viele Tequila- und einige Mezcalbetriebe konservieren auch ihren eigenen Hefeansatz über bestimmte Zeiträume. An der Gärung sind jedoch fast immer vielerlei Hefen und Bakterien beteiligt, was zu einem besonderen Aroma führt: von interessant komplex bis hin zu essigstichigen Gärfehlern ist alles zu finden. Kommerzielle Reinzuchthefen zeigen in Agavenmost nur begrenztes Wachstum, da die essenziellen Öle der Agave – ähnlich denen des Hopfens – antimikrobiell wirken. Zudem besteht der Most fast ausschließlich aus reiner Fructose, was für Bier- oder Weinhefen unter Umständen schwierig zu verstoffwechseln ist. Die Gärung wird meist in Holzbottichen mit 1 bis 1,5 m³ durchgeführt; manchmal werden hierzu auch Edelstahl-, Ton- oder Plastikbehälter verwendet – in besonderen Fällen sogar Kuhhäute. Da früher die Herstellung teilweise illegal war, wurde mit den einfachsten Materialien gearbeitet, um schnellstmöglich und auch in den abgelegensten Regionen eine Produktionsstätte in Betrieb nehmen zu können: Ein Loch im Boden als Erdofen, eine Kuhhaut als Gärbehälter und eine vor Ort aus Ton gebrannte Destille ist alles was man zur Herstellung von Mezcal braucht. Nach der Entnahme aus dem Erdmeiler, werden die Agavenherzen mit einer Hammer- oder Steinmühle zermahlen. Der Saft wird meist zusammen mit den Fasern in den Gärbehälter gegeben und dort mit Wasser auf ca. 10 bis 14°Brix herabgesetzt und gut durchmischt. Die Spontangärung dauert je nach Klima zwischen vier bis zwölf Tagen, manche Betriebe fermentieren auch länger. Danach wird der vergorene Most – Tepache genannt – zu Rohbrand verarbeitet. Hierzu wird in den meisten Fällen eine Kupferdestille verwendet; es gibt jedoch auch Gebiete in denen Destillen aus Ton genutzt werden, teilweise sogar mit Holzhelmen oder anderen „rustikalen“ Elementen. In den meisten Fällen funktioniert das erstaunlich gut. Zudem deuten einige archäologische Funde von Keramik- und Tongegenständen daraufhin, dass möglicherweise den Ureinwohnern Mexikos vor der Ankunft der Spanier die Destillation bekannt gewesen sein könnte. Der Rohbrand oder Ordinario wird danach in einem zweiten Brennvorgang zu einem Feinbrand verarbeitet. Man trennt, manchmal auch schon beim Ordinario verschiedene Fraktionen wie Vorlauf (Cabeza) und Nachlauf (Cola) ab; lediglich der Mittellauf, das Herzstück (Corazón) wird als Mezcal verkauft. Früher für gewöhnlich direkt ab Hof in Brennstärke (> 60% vol.) direkt vom Fass, heute in Trinkstärke (min. 36% vol. bis max. 55% vol.) auf Flaschen abgefüllt. In seltenen Fällen wird Mezcal noch in Holzfässern zur Reife zwischengelagert, bevor dieser vermarktet wird.

Dieser komplexe Herstellungsprozess, vor allem seine zahlreichen Variationen, lässt sich auf alle anderen Agavenspirituosen übertragen: Tequila, Bacanora, Comiteco, Raicilla, Tusca oder ähnliche Produkte werden alle auf ähnlichem Wege hergestellt – mal industrieller, mal traditionell handwerklich. Auch beim Sotol, obwohl dieser aus einer anderen Rohware hergestellt wird (bot.: Dasylirion spp. – dessert spoon), ähnelt der Prozess und das Endprodukt sehr stark einer Agavenspirituose, weshalb man diesen dazuzählen könnte. Viele Regionen versuchen sich durch eigene Produktnamen, Normierungen und geschützten Ursprungsbezeichnungen voneinander abzusetzen. Jedoch wurde Mezcal über Jahrhunderte als Überbegriff genutzt, was auch heute weiterhin Sinn machen würde. Selbst Tequila wurde in der ersten Norm von 1949 als „Aguardiente de Mezcal“ bezeichnet. Der Begriff Mezcal könnte helfen, der Verbraucherin bzw. dem Verbraucher einen generischen Begriff analog zu Wein oder Bier an die Hand zu geben. Besondere Produkte wie Tequila könnten einen Status wie Bordeaux im Rahmen einer geschützten Ursprungsbezeichnung innehalten – jeder wüsste aber genau, dass es sich dabei um einen Mezcal handelt. Leider wird aktuell nicht versucht Klarheit zu schaffen; es herrscht viel mehr ein konfuses gegenseitiges Bekämpfen von allen Fronten, das leider niemandem so wirklich weiterhilft.

In den 70er Jahren war Mezcal außerhalb eines lokalen Marktes weitestgehend unbekannt. Zur damaligen Zeit waren über 1.200 Betriebe registriert. Wenige haben es bis heute geschafft ihre eigenen Produkte selbst zu vermarkten. Seitdem der Boom von Mezcal vor einigen Jahren begann, sind auch die großen Spirituosenfirmen darauf aufmerksam geworden. Mittlerweile gehören mehr als 70 Prozent des Marktes für Mezcal, den zehn größten Firmen. Diese Entwicklung ist in meinen Augen zu schnell passiert. Zu viele Fragen und Probleme sind ungelöst, während Mezcal schon in den angesagtesten Bars weltweit als Trendspirituose gehandelt wird. Die aktuelle Denominación de origen (Geschütze geografische Ursprungsbezeichnung) ist mit einer Fläche größer als Frankreich und zahlreichen unterschiedlichen geographischen Regionen nur ein politisches Konstrukt und hilft den Produzierenden vor Ort kaum. Die Norm ist sehr industriefreundlich gestaltet und regelt Parameter teilweise ungenügend oder nicht der Rohware entsprechend. Der Consejo Regulador de Mezcal, welcher die Norm umsetzt, funktioniert leider auf Grund von zahlreichen Interessenskonflikten nur ungenügend und diskreditiert teilweise das zu schützende Produkt. Meine Befürchtung ist, dass in den nächsten Jahren zum Beispiel andere Länder diese Probleme in Angriff nehmen und die mexikanischen Produzierenden das Nachsehen haben. Die USA sind heutzutage der größte Absatzmarkt für Mezcal, sogar mittlerweile größer als Mexiko. Es gibt dort bereits eigenständige Produktionsstätten und die Rohware Agave wächst dort auch. Man kann sich ausmalen, dass in der aktuellen Situation der mexikanische Markt dagegen nur unzureichend geschützt ist. Dennoch gibt es auch zahlreiche Bestrebungen die Situation vor Ort in Mexiko zu verbessern: wissenschaftliche Institutionen forschen intensiv an der Thematik und können dazu beitragen die Norm gerechter und sinnvoller zu gestalten. Es gibt Netzwerke zwischen Industrie und Forschung die verschiedene Themenkomplexe genauer analysieren und Lösungen entwickeln: nachhaltige Pflanzenwirtschaft aber auch Prozessabfallentsorgung (Schlempe, etc.) sind zentrale Probleme, für die nationale Strategien umgesetzt werden. Es bleibt also zu hoffen, dass diese komplexe Spirituose, mit all ihren untereinander verbundenen Facetten, über aktuelle Trends hinaus bestehen kann und von einer wachsenden Liebhabergemeinde geschätzt wird. In jedem Fall lohnt es sich, bei Gelegenheit einen Schluck davon zu probieren.

Jan Hendrik Giersiepen erhielt für seine herausragende Abschlussarbeit mit dem Titel „The spirit of Agave: Mezcal“ den Oenologen Nachwuchspreis 2018 im Bereich Getränketechnologie, die von Prof. Dr. Helmut Dietrich betreut wurde.

Kategorien: Weinwissenschaften, Oenologie, Getränkewissenschaften, STUDIUM, Weinbau, Önologie und Weinwirtschaft (M.Sc.), VITIS-VINUM (M.Sc.), Vinifera EuroMaster (M.Sc.), Weinwirtschaft (M.Sc.), Oenologie (M.Sc.), Getränketechnologie (M.Sc.), International Wine Business (B.Sc.), Internationale Weinwirtschaft (B.Sc.), Logistik und Management Frischprodukte (B.Sc.), Getränketechnologie (B.Sc.), Lebensmittelsicherheit (B.Sc.), Weinbau und Oenologie (B.Sc.), Deutsch-Italienischer Doppel-Bachelor, HOCHSCHULE, Stiftungen, Presse und Kommunikation, Alumni, FORSCHUNG, Wissenschaftlicher Nachwuchs, Wein- und Getränkewirtschaft, Oenologie, Mikrobiologie und Biochemie, Getränkeforschung, Allgemeiner und ökologischer Weinbau, Nachrichten

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