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Die WELT titelt: "Wie es um die Königlich Preußische Lehranstalt für Obst- und Weinbau in Geisenheim bestellt ist: Besuch in der Kaderschmiede der deutschen Weinwirtschaft"

Denkmal von Lade

Man hätte es nicht besser beschreiben können – WELT Redakteur Eckhard Fuhr hat bis in die Tiefe unserer Geschichte recherchiert und den Campus Geisenheim in komplexer  Breite geschildert. Die Kombination aus Tradition und Moderne ist in Geisenheim gelebter Alltag!

„Kein Bäuchlein, keine rote Nase

Wie es um die Königlich Preußische Lehranstalt für Obst- und Weinbau in Geisenheim bestellt ist: Besuch in der Kaderschmiede der deutschen Weinwirtschaft / Von Eckhard Fuhr

Als am 20. Juli 1969 Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, hatte sich das Rheingaustädtchen Geisenheim dort schon längst verewigt. Nicht weit vom Landeplatz der Mondfähre im „Meer der Ruhe“ liegt ein Krater mit dem Namen „Lade“. Ohne Lade, ohne Eduard von Lade, wäre Geisenheim nur ein malerischer Weinort. Durch seinen größten Sohn wurde es zum Mond-, vor allem aber zum Weltort. Der Mann hatte zwei Leidenschaften: die Astronomie und den Obst- und Weinbau. Ersterer verdankt sich der Eintrag seines Namens auf der Mondkarte. Nachhaltigere Wirkung aber entfaltete die zweite. Auf von Lades Initiative geht die Gründung der Königlich Preußischen Lehranstalt für Obst- und Weinbau im Jahr 1872 zurück, die heute so etwas wie die Kaderschmiede der deutschen Weinwirtschaft ist.

Von Lade war, wie könnte es in Geisenheim anders sein, der Sohn eines Weinhändlers. Sein Vermögen machte er aber vor allem mit Waffenhandel. Doch hielt es ihn nicht lange in diesem Gewerbe. Schon mit Mitte Vierzig zog er sich aus dem Geschäftsleben zurück. Er hatte genug verdient, ließ sich um 1861 in Geisenheim die Villa Montrepos samt Observatorium bauen und widmete sich fortan der Monderkundung und der Pomologie, der Wissenschaft vom Obst. Außer dem besagten Mondkrater trägt auch „Lades Butterbirne“ seinen Namen. Und natürlich heißt die Straße, die heute am „Campus Geisenheim“ vorbei führt, Von-Lade-Straße.

Geisenheim erreicht man von Frankfurt und Wiesbaden her vorbei an Eltville und Oestrich-Winkel auf der Bundesstraße 42. Sie führt direkt am Rhein entlang, trennt die Orte also vom Strom, der sich hier in seinem breiten Bett noch einmal räkelt und spreizt, bevor er sich hinter Rüdesheim ins Schiefergebirge zwängen muss. Auf der Höhe thronen das Schloss Johannisberg und das Niederwalddenkmal. Die Postkartenlandschaft ist seit den Zeiten der Rheinromantik hundertmal besungen worden. Das hat ihr nichts anhaben können. Ihre wirkliche Schönheit hält jedem Klischee stand. Man kann verstehen, dass ein weltgewandter Mensch wie Eduard von Lade seiner Heimatstadt die Treue hielt und alles daran setzte, sein Glück in Geisenheim und nicht in der Ferne zu machen. Zum guten Ende hin stiftete er sein ganzes Vermögen, auch die Villa Montrepos samt dem sie umgebenden Park der Lehr- und Forschungsanstalt.

Heute sind Lehre und Forschung seit dem hessischen Fachhochschulgesetz von 1972 formal getrennt. Es gibt eine Forschungsanstalt Geisenheim und den Fachbereich Geisenheim der Hochschule Rheinmain, an dem man in den Fächern Weinbau, Oenologie, Internationale Weinwirtschaft, Gartenbau und Landschaftsarchitektur den Bachelor- oder Mastergrad erwerben kann. Alle Wissenschaftler der Forschungsanstalt jedoch sind zur Lehre an der Hochschule verpflichtet. Räumlich sind beide Institutionen ohnehin miteinander verwachsen. Und so präsentiert sich das Konglomerat aus Hochschule und Forschungsanstalt nach außen unter dem Label „Campus Geisenheim“. Das passt nun auf den ersten Blick gar nicht in die winkelige Fachwerk- und Schieferschindelwelt des Städtchens, wird aber plausibel, wenn man mit Professor Hans-R. Schultz, dem Direktor der Forschungsanstalt, spricht. Sein Büro befindet sich in deren Hauptgebäude, einem nüchternen Klinker-Zweckbau aus dem 19. Jahrhundert. Man erwartet nicht unbedingt einen hochgewachsenen, drahtigen Mann in Jeans, wenn man sich zu einem Weinbau-Professor auf den Weg macht.

Über ein Bäuchlein und eine rote Nase würde man sich nicht wundern. Zu beidem findet sich bei Schultz nicht der geringste Ansatz. Er verbirgt beim Sprechen zwar nicht, dass er ein Winzersohn von der Mosel ist. Aber er gehört auf seinem Gebiet zu einer globalen Wissenschaftselite. Nach dem Studienabschluss in Geisenheim studierte er in Amerika Biologie und promovierte in Frankreich. Seine Forscherleidenschaft gilt den Folgen des Klimawandels für den Weinbau. Damit mag es zusammenhängen, dass er ein Mensch von durch und durch positiver Ausstrahlung ist. Für den Wein und seine Trinker ist es ja alles in allem gut, dass es wärmer wird. Doch auch hier steckt der Teufel natürlich im Detail und die Herausforderung darin, Klimamodelle so kleinräumig herunter zu rechnen, dass sie für den einzelnen Weinberg aussagekräftig sind, in den ja für Generationen investiert wird. Ein großes Thema ist dabei das Wasser beziehungsweise die Stabilisierung des Wasserhaushaltes, wenn in Zukunft in Europa sich immer häufiger extrem nasse und extrem trockene Perioden abwechseln.

In Amerika oder Australien ist die Bewässerung der Weinkulturen selbstverständlich. Ohne sie wäre Weinbau dort vielerorts nicht möglich. In Europa war die künstliche Bewässerung für Qualitätswein jedenfalls lange verboten. Es fehlt bis heute jede Infrastruktur. Aber gerade in den steilen Lagen der deutschen Weinanbaugebiete, deren Böden wenig Wasser speichern können, könnten damit die Erträge gesichert und ein kulturhistorisches Erbe bewahrt werden. Alternativen zum Weinbau gibt es für die wirtschaftliche Nutzung solcher Flächen kaum. Die Forschungsanstalt betreibt deshalb auf 100 Hektar bei Rüdesheim ein Pilotprojekt mit Bewässerungssystemen, bei dem unter anderem auch der Frage nachgegangen wird, welche Bedeutung ein stabiler Wasserhaushalt für die Alterungsfähigkeit besonders des Weißweins hat.

An der Hochschule sind derzeit rund 1100 Studenten eingeschrieben, 600 davon in den Weinfächern. Es hat seit den Achtzigerjahren eine Revolution stattgefunden in der deutschen Weinkultur. Der Klimawandel ist ein Treibsatz dafür, die in Geisenheim betriebene Professionalisierung von Weinanbau- und Bereitung ein anderer. Was sich am Klima geändert hat, zeigt sich zum Beispiel daran, dass 1980 die Winzer an der Mosel um Ausnahmegenehmigungen dafür kämpften, dem Wein zur Säurereduzierung Wasser zuzusetzen. In den Jahren 2003 und 2009 ging es umgekehrt um das Zuführen von Säure. Jahre, in denen die Trauben nicht reif werden, gibt es auch in den nördlichen Randzonen des Weinbaus nicht mehr.

Dass der deutsche Wein heute kein Sonderdasein mehr führt und auch in den Regalen der Supermärkte auf gleicher Augenhöhe mit der französischen oder italienischen oder kalifornischen Konkurrenz steht, hängt jedoch nicht nur mit dem Klima und also damit zusammen, dass heute auch nördlich der Alpen Sorten wie Cabernet-Sauvignon oder Merlot gedeihen. Wichtiger noch ist der Mentalitätswandel der deutschen Winzer. Die Generation, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren die Betriebe übernahm, schottete sich nicht mehr auf dem deutschen Weinsonderweg ab, sondern ging in die Welt, sammelte Erfahrungen und stellte sich der internationalen Konkurrenz. Fast alle holten sich ihr Rüstzeug in Geisenheim. Vor dreißig Jahren verkaufte Franz Keller aus dem Kaiserstuhl seinen Barrique-Rotwein noch als Tafelwein, weil die deutsche Qualitätsweinklassifizierung Barrique-Ausbau nicht vorsah. Deutscher Rotwein war damals überwiegend blässlicher Spätburgunder. Wie haben sich die Zeiten geändert!

Im Studienjahr 2008/2009 saß ein schon älterer Student mit britischem Akzent bei Professor Schultz in der Weinau-Vorlesung, meistens vorne in der ersten Reihe. Es war der Weinkritiker Stuart Pigott. Er wollte nicht mehr nur Wein trinken und über Wein schreiben, sondern selbst Wein machen. Dafür hat er sich einen kleinen Wingert in Franken gepachtet, der bescheidene 500 Flaschen im Jahr hervorbringen soll. Als Winzer ist Pigott ein Quereinsteiger und in dieser Eigenschaft jedenfalls alles andere als ein Exot in Geisenheim. Unter die jungen Studenten mischt sich manch schon grau werdendes Haupt. Das sind Leute, die in anderen Berufen alles erreicht haben und sich darauf vorbereiten, endlich das zu tun, was sie schon immer wollten: Wein machen. Der Idealismus dieser Quereinsteiger, sagt Schultz, habe manchem „geborenen“ Winzer erst auf die Sprünge geholfen.

Der Campus Geisenheim ist ein Erfolgsmodell. Die Zahl der Studenten steigt, die internationalen Kontakte und Partnerschaften werden immer dichter und intensiver. „Geisenheim“ ist fast zum Synonym für Forschung und Lehre auf dem Gebiet des Weins geworden. Seit 23 Jahren besteht zwischen den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz ein Staatsvertrag über die gemeinsame Fínanzierung. Der ist kürzlich überraschend von Mainz gekündigt worden. Im pfälzischen Neustadt entsteht nun auch ein Wein-Campus. Dass durch den dort angebotenen Doppelstudiengang Weinbau/Oenologie die eigene Führungsstellung gefährdet sei, glaubt man in Geisenheim nicht. Aber geärgert hat man sich schon über die „atmosphärischen Störungen von der anderen Rheinseite“. Und die fehlenden linksrheinischen Mittel werden noch schmerzen. Aber das ist alles Kleinkram wenn man mit einem kühlen Riesling oben auf dem Johannisberg sitzt und dem Mond zuschaut, wie er sich im Rhein spiegelt.“

URL: http://www.welt.de/die-welt/debatte/article9246738/Kein-Baeuchlein-keine-rote-Nase.html

Kategorien: Weinbau und Oenologie (B.Sc.), Obstbau, Nachrichten