FACE (Free Air Carbon Dioxide (CO2) Enrichment)

Die Geisenheimer FACE-Experimente: Ein Ausblick in unsere atmosphärische Zukunft

  • In den Geisenheimer FACE-Anlagen für Spezialkulturen werden die Auswirkungen zukünftiger erhöhter Kohlenstoffdioxid-Konzentrationen auf Anbau, Physiologie, Schaderregerbefall und die Produktqualität (u. a. Inhaltsstoffe) von Weinreben und Gemüsekulturen untersucht.
    • In der FACE-Anlage für Reben werden die Rebsorten Riesling und Cabernet Sauvignon angebaut.
    • In der FACE-Anlage für Gemüse werden die Kulturpflanzen Spinat, Radies und Gurke untersucht, unter voller und reduzierter Bewässerung.
  • In verschiedenen Teilprojekten werden die Emission von Treibhausgasen aus dem Boden, die Physiologie und der Ertrag, die Interaktionen zwischen Pflanzen und Schaderregern sowie Veränderungen in den Inhaltsstoffen und der Produktqualität von Reben und Gemüse unter erhöhten CO2-Konzentrationen untersucht.

Aktuelles

FACEing Compensation

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Die kleine Energiewende an unserer Hochschule

Der Klimawandel, dessen Folgen und Wege zur CO2-Emissionsminderung sind seit Jahrzehnten Forschungsgegenstand in Wissenschaft und Technik. Ein Aspekt der Klimafolgenforschung an unserer Hochschule ist der Betrieb des FACE-Experiments (Free Air Carbondioxide Enrichment). Im „FACE“ werden die Auswirkung einer um 20 Prozent erhöhten CO2‑Konzentration in der Atmosphäre auf Pflanzenwachstum, Produktqualität, Bodenprozesse und Pflanze-Schädlingsinteraktionen untersucht. In Gesprächen und Führungen am Campus unserer Hochschule kommt dann immer wieder (augenzwinkernd) die Frage auf, warum für die Klimafolgenforschung denn CO2 in nicht unbeträchtlichen Mengen (2017: 210 Tonnen CO2) freigesetzt werden müsse – und ob wir nicht so zum Klimawandel beitrügen?

Zwar wäre das CO2 auch ohne den Umweg über unsere FACE-Anlage in die Atmosphäre gelangt, aber die Frage berechtigt – sie lieferte uns den Startpunkt und Antrieb des Projekts "FACEing Compensation" – wir untersuchen, wie die CO2-Emissionen unserer Hochschule verringert oder kompensiert werden können. Das Land Hessen hat in der Nachhaltigkeitskonferenz im Projekt "CO2-neutrale Landesverwaltung" beschlossen, bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen. Diese wird neben dem Minimieren des Energiebedarfs (1. Säule) und Substituieren fossiler Energieerzeuger (2. Säule) durch das Kompensieren (3. Säule) unvermeidbarer Emissionen mittels Emissionszertifikaten realisiert. Das Ziel von "FACEing Compensation" geht in der 3. Säule darüber hinaus: Es wird untersucht, welche Möglichkeiten die Hochschule mit ihren spezifischen Gegebenheiten hat, um - abseits des Ankaufs von CO2-Zertifikaten mit einem ungewissen Preis - unvermeidbare CO2-Emissionen selbst zu kompensieren, indem Biomasse-Kohlenstoff (C) in eine stabilere Form gebracht und in Böden oder Produkten gespeichert wird. Die konzeptuelle Idee fand im Rahmen einer Förderung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (HMWK) Bewilligung und wird nun für die HGU als „Fallbeispiel“ exemplarisch ausgearbeitet.

Unsere Hochschule besitzt aufgrund der landwirtschaftlich genutzten Flächen ein größeres Potential an anfallender Reststoffbiomasse als andere Einrichtungen des Landes Hessen. In der Biomasse ist durch die Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre gebunden, das bei Zersetzung oder Verbrennung der Biomasse in die Atmosphäre zurückkehrt. Um das 2°C oder gar das 1,5°C Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen müssen nicht nur die CO2-Emissionen verringert werden, sondern es muss der Atmosphäre sogar wieder CO2 entzogen werden. Um also Photosynthese und Biomasseproduktion für einen Netto- CO2-Entzug aus der Atmosphäre nutzen zu können, muss der Kohlenstoff an der Rückkehr in die Atmosphäre gehindert werden.

Der einzige, bisher in diese Richtung verfolgte großtechnische Ansatz ist als Carbon Capture and Storage (CCS) bekannt, also die Abscheidung von CO2 aus Verbrennungsgasen von Kohle oder Biomasse und anschließender Verpressung in geologische Lagerstätten. Fossile Brennstoffe wären dadurch CO2-neutral, Biomasseverbrennung mit CO2-Abscheidung würde Netto CO2 aus der Atmosphäre entziehen (Negativemissionen). Bisher konnte sich aufgrund ungelöster Fragen hinsichtlich Transport, Lagerung und (bei Umstellung auf Biomasse) Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion die Idee des BECCS (Bioenergie-CCS) bisher nicht etablieren. Zudem verursacht sie nur Kosten und bietet keine Ansätze zur ökonomischen Wertschöpfung.

Im Prozess der Pyrolyse wird eine langzeitstabile Form des Biomasse-Kohlenstoffs erzeugt. Das Produkt, in dem CO2–C gebunden ist (Pflanzenkohle), kann selbst als Zertifikatträger dienen. Pflanzenkohle kann ökologisch und ökonomisch sinnvolle Verwendungswege und Einsatzmöglichkeiten haben (was der CO2-Verpressung nicht möglich ist). Diese seit Jahrhunderten praktizierte Technik, mit heutiger Technologie optimiert, produziert einen hochwertigen Kohlenstoff mit großer Langzeitstabilität (bei entsprechender Prozesstemperatur mehrere 100 bis 1.000 Jahre bei Einbringung in Böden). Die Einsatzgebiete sind äußerst vielfältig und reichen von der Landwirtschaft (Düngerherstellung, Tierhaltung und –produktion) über die Baustoffindustrie und Abwasserreinigung bis hin zur Produktion von Filtern und elektrischen Kondensatoren; hier erfolgt derzeit eine sehr aktive Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Für die Herstellung zersetzungsstabiler Pflanzenkohle aus Reststoffbiomasse sind vor allem die Abwesenheit von Sauerstoff sowie Temperaturen zwischen 450 bis 900°C notwendig. Dabei werden Makromoleküle wie Lignin oder Cellulose thermisch zerstört und treten als brennbare Gasphase aus, während anorganische Anteile (Mineralstoffe) sowie der größte Anteil des Kohlenstoffs in einer geordneten, aromatischen Gitterstruktur zurückbleibt. Die brennbaren Gase können entweder kondensiert und als ölige Phase zu Biokraftstoff raffiniert werden, oder direkt verbrannt und zur Wärmeerzeugung genutzt werden.

Hierin besteht der doppelte Nutzen der Technik der Pyrolyse für unsere Hochschule: Die ausgekoppelte Energie kann zur Deckung des Heizwärmebedarfs der Gewächshäuser genutzt werden und auf diese Art und Weise die bisherige Wärmeerzeugung durch Erdgas teilweise substituieren. Zugleich entsteht ein verwendbares C-reiches Produkt, dass dem CO2-Entzug aus der Atmosphäre dient, solange es auf eine Weise verwendet wird, die nicht Oxidation des C zur CO2 Verbrennung ist.

Erste Schritte des Projekts waren die Ermittlung des thermischen Energiebedarfs der Gewächshäuser und die Abschätzung des Potentials für holzige Biomasse auf den Flächen der Hochschule. Durch die Erarbeitung eines Messstellenkonzepts wurden die wichtigsten Punkte zur Energiebedarfsmessung identifiziert und Messgeräte installiert. Der gemessene Wärmebedarf der Gewächshäuser übertraf alle Befürchtungen: Für die vergangene Heizperiode lag dieser bei ca. 1.500 MWh oder 363 t CO2-Äquivalenten. Das entspricht 20 Prozent des Gesamtwärmebedarfs der Hochschule. Zum Vergleich: Ein Mittelklassewagen (130 g CO2/km) könnte 2,8 Mio. Kilometer fahren, d. h. sieben Mal von der Erde bis zum Mond, bis diese Menge an CO2 ausgestoßen ist.

Die Abschätzung des Biomassepotentials begann mit der Flächenerfassung in ArcGIS. In die Datenbank wurden Ertragsdaten zu den Kategorien Weinbau, Obstbau und Parkflächen eingepflegt, sodass der Holzertrag der jeweiligen Fläche abrufbar ist. Das erfasste Potential bildet die Grundlage für den Betrieb einer Pyrolyse Anlage und liegt, je nach gewähltem Szenario, zwischen 150 und 220 Tonnen holzartiger Biomasse.

Somit wurden zwei zentrale Fragen bearbeitet: (1) Die Biomasse für den Betrieb einer Pyrolyse Anlage wäre theoretisch an unserer Hochschule vorhanden und (2) ebenso der Wärmebedarf. Über die Konversion der Biomasse könnten jährlich bis zu 183 t CO2 in langzeitstabile Form gebracht und so der Atmosphäre entzogen werden, d. h. die Hälfte des heutigen Wärmebedarfs der Gewächshäuser könnte kompensiert werden. Momentan wird ein Modell erstellt, welches verschiedene Pyrolyse Anlagen vergleicht und die Betriebsweise auf den Gewächshausbedarf abstimmt, sowie die Massenströme genau quantifiziert. In der Abbildung ist zur Veranschaulichung der Massenfluss mit den entsprechenden CO2-Äqivalenten für eine Menge von 25 kg Biomasse dargestellt. Das Modell soll eine flexible Entscheidungsgrundlage für die mögliche Beschaffung einer solchen Anlage bieten.

Da zum Beispiel bei der Nutzung von Ast- und Rebschnitt bisweilen ein Nutzungskonflikt mit der bisherigen Verfahrensweise besteht, werden zudem Überlegungen angestellt, welche weiteren Quellen für Biomasse im Umkreis in Frage kommen. Hier könnte die Pyrolyse Anlage unserer Hochschule zur Produktion von lokalen Emissionszertifikaten genutzt werden. Das in Entwicklung befindliche Modell wird in der zweiten Hälfte des Jahres um weitere erneuerbare Energieformen erweitert, um deren Erzeugungspotentiale ebenfalls darzustellen. Diese Informationen werden im Jahr 2019 dann in eine Carbon Footprint Analyse einfließen und das Projekt abschließen.

Die Herstellung von Pflanzenkohle durch Pyrolyse biogener Reststoffe wird nicht die eine Lösung sein, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen, um den Klimawandel und dessen gravierende Folgen abzuwenden. Es ist jedoch die einzige sofort einsetzbare und weitgehend ausgereifte Technologie, die nicht nur zu einer Dekarbonisierung (Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe), sondern auch zu einem Netto-CO2-Entzug aus der Atmosphäre beitragen kann.

An dieser Stelle möchten wir unseren herzlichen Dank an die Mitarbeiter von Infrastruktur und Parkpflege aussprechen, sowie an die Leiter und Mitarbeiter der Institute für Wein-, Obst- und Gemüsebau, Landschaftsarchitektur des Instituts für Bodenkunde und Pflanzenernährung, die uns bei der Erhebung der Zahlen alle so schön mit Rat und Tat unterstützt haben.

Sollten Sie Fragen zum Projekt oder Interesse an einer Studien- oder Abschlussarbeit auf dem Gebiet haben, können Sie uns jederzeit gerne kontaktieren.

Prof. Dr. Claudia Kammann unter Claudia.Kammann(at)hs-gm.de

Georg Ardissone, M.Sc. unter Georg.Ardissone(at)hs-gm.de

Kategorien: HOCHSCHULE, Presse und Kommunikation, FORSCHUNG, Projekte, Face, Angewandte Ökologie, Nachrichten

Bilderreihe

Abb.: 25 kg Biomasse binden typischerweise 43,1 kg CO2. In der Pyrolyse Anlage bildet sich Gas und die Pflanzenkohle, in der sich knapp die Hälfte des gebundenen CO2 befindet. Das Gas wird zur Wärmeerzeugung verbrannt und kann teilweise zur Beheizung der Gewächshäuser genutzt werden. Während der Pyrolyse und der Wärmeübertragung beträgt der Verlust 13,35 kg CO2.
FACE

Ziel ist es, eine weltweit einmalige Freiland-Forschungsinfrastruktur mit den Partnern der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg, des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie (Marburg) sowie des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie (HLUG) aufzubauen.
Das Land Hessen unterstützt dieses Vorhaben im Rahmen des Forschungsförderprogramms LOEWE, ein Programm zur Förderung von Exzellenzforschung.

Ansprechpartner/-innen

Hans Reiner Schultz
Prof. Dr. Hans Reiner Schultz
Gebäude 5901
Raum 117
Tel. +49 6722 502 201
Hans.Reiner.Schultz(at)hs-gm.de Details
Claudia Kammann
Prof. Dr. Claudia Kammann
Gebäude 6101
Raum 00.04
Tel. +49 6722 502 755
Claudia.Kammann(at)hs-gm.de Details
Manfred Stoll
Prof. Dr. Manfred Stoll
Gebäude 6205
Raum 302
Tel. über +49 6722 502 141
Manfred.Stoll(at)hs-gm.de Details
Katrin Kahlen
Prof. Dr. Katrin Kahlen
Gebäude 6101
Raum 00.03
Tel. +49 6722 502 582
Katrin.Kahlen(at)hs-gm.de Details
Annette Reineke
Prof. Dr. Annette Reineke
Gebäude 6120
Raum 01.56
Tel. über +49 6722 502 411
Annette.Reineke(at)hs-gm.de Details
Susanne Tittmann
Dr. Susanne Tittmann
Gebäude 6205
Raum 210
Tel. über +49 6722 502 146
Susanne.Tittmann(at)hs-gm.de Details
Yvette Wohlfahrt
Dr. Yvette Wohlfahrt
Gebäude 6205
Raum 300
Tel. +49 6722 502 144
Yvette.Wohlfahrt(at)hs-gm.de Details
Jana Zinkernagel
Prof. Dr. Jana Zinkernagel
Gebäude 1000
Raum 102
Tel. über +49 6722 502 511
Jana.Zinkernagel(at)hs-gm.de Details

weitere Informationen zum Projekt

Treibhausgasemissionen

In diesem Arbeitspaket werden Emissionen klimarelevanter Treibhausgase (THG: N2O, CO2, CH4) aus wein- und gartenbaulich genutzten Böden unter erhöhten CO2-Konzentrationen untersucht. Zudem sollen Auswirkungen von Bodenbearbeitung, Bewässerung, Düngung und Extremereignissen wie Starkregen auf Stärke und Zusammensetzung der THG-Emissionen erfasst werden. Zur Datenerhebung werden Gasanalysen mittels photoakustischer Spektroskopie durchgeführt. Erfasste Daten und Begleitdaten sollen anschließend zur Weiterentwicklung von Ökosystemmodellen eingesetzt werden.

Physiologie und Qualität - Reben

An den Rebsorten Riesling und Cabernet Sauvignon soll der Einfluss von erhöhten CO2-Konzentrationen auf die Phänologie und auf physiologische Prozesse der Rebe sowie die Frucht- und Inhaltsstoffentwicklung untersucht werden. Über den Verlauf der Vegetationsperiode wird der physiologische Zustand der Reben mittels nicht invasiver Messungen des Gaswechsels sowie der Chlorophyllfluoreszenz erfasst. Neben der Erhebung von Ertragsparametern werden Quantität und Qualität von Beeren- sowie Weininhaltsstoffen analysiert.

Populationsdynamik, Phänologie und Ertrag - Gemüse

In diesem Teilprojekt werden die Auswirkungen von erhöhten atmosphärischen CO2-Konzentrationen in Kombination mit Wasserstress auf Phänologie und Ertragsleistung von Feldgemüse untersucht. Ziel ist die Analyse der Interaktion der untersuchten Umweltfaktoren auf Wassernutzungseffizienz und Ertragsbildungsprozesse anhand (1) experimentell erhobener Daten und (2) eines Modellansatzes, der Pflanzenarchitektur- und Wachstumsmodelle koppelt.

Inhaltsstoffe und Produktqualität - Gemüse

Im Rahmen dieses Teilprojekts werden die Auswirkungen erhöhter atmosphärischer CO2-Konzentrationen und reduziertem Wasserangebot auf die Produktqualität von Feldgemüse (Spinat, Radies und Einlegegurken) untersucht. Hierbei werden zudem bedeutende Inhaltsstoffgruppen (z. B. Mineralstoffe, Phenole) hinsichtlich Veränderungen in ihrer Zusammensetzung und Konzentration analysiert. Weiterhin sind Experimente zur Sensorik und Festigkeit der Ernteprodukte geplant.

Rebe-Schaderreger-Interaktionen

In diesem Teilprojekt werden mögliche Auswirkungen erhöhter CO2-Konzentration auf die Wechselwirkungen zwischen Reben und zwei wirtschaftlich wichtigen Schaderregern untersucht (Plasmopara viticola, Erreger des Falschen Mehltaus; Lobesia botrana, Bekreuzter Traubenwickler). Hierzu werden Daten zur Entwicklungsbiologie bzw. Pathogenese der Schaderreger und zu Veränderungen von Schaderreger-relevanten anatomischen Merkmalen der Rebe erfasst. Auf molekularer Ebene werden zudem Veränderungen in der Expressionsstärke relevanter Abwehrgene der Wirtspflanze analysiert.

Stickstoff-Effizienz bei Reben

Unter erhöhten CO2-Konzentrationen kann die Weinqualität maßgeblich durch Veränderungen des N-Haushaltes im Boden sowie durch Aufnahme, Transport und Speicherung stickstoffhaltiger Verbindungen in der Pflanze beeinflusst werden. In diesem Arbeitspaket werden mögliche Strategien für eine zukünftige Stickstoffversorgung der Rebe entwickelt, um negative Folgen erhöhter CO2-Konzentrationen zu kompensieren. Hierzu wird u. a. die qualitative Zusammensetzung von Aminosäuren in generativen und vegetativen Teilen der Rebe sowie Veränderungen in der Aktivität bestimmter Enzyme in der Rebe untersucht.

Oktober 2017: Einblicke in eine CO2-reiche Zukunft: Ergebnis-Highlights des LOEWE FACE2FACE Projekts

Klimaschutzministerin Priska Hinz eröffnet die Abschlussveranstaltung des kooperativen Forschungsprojekts FACE2FACE an der Hochschule Geisenheim

FACE2FACE ist ein Forschungsprojekt, das im Rahmen der hessischen Exzellenz-Initiative LOEWE gefördert wird. Dabei werden Pflanzen in Freiluftversuchen kontrolliert einem erhöhten Kohlendioxid (CO2) ausgesetzt. Dies soll den durch den Klimawandel bedingten steigenden CO2-Anteil simulieren. Weltweit existieren nur etwa 20 der sehr komplexen FACE-Anlagen. Dem hessischen FACE2FACE-Forschungsverbund mit insgesamt drei Anlagen in Gießen und Geisenheim kommt damit auch international eine herausragende Bedeutung zu. Besonders hervorzuheben ist die intensive Zusammenarbeit aller hessischen Akteure: die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Hochschule Geisenheim University, die Phillips-Universität Marburg, das Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie in Wiesbaden.

Innerhalb des LOEWE-Schwerpunkts FACE2FACE wurden seit Januar 2014 bis Herbst 2017 relevante hessische Agrarökosysteme (Gießen: Grünland; Geisenheim: Weinbau, Feldgemüsebau) im Freiland unter Bedingungen des Klimawandels untersucht. Besonderes Augenmerk galt dem Einfluss steigender atmosphärischer CO2-Konzentrationen, wie sie für die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet werden. Seit Beginn der Industrialisierung ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits von 280 ppm (ppm = parts per million, Teile pro Million) auf einen Wert von über 400 ppm angestiegen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden es wahrscheinlich bereits 480 ppm sein. Selbst der heutige Wert von 400 ppm wurde in den letzten eine Million Jahren nie erreicht. Kohlendioxid ist aber nicht nur ein potentes Treibhausgas, sondern wird z. B. mittels Photosynthese von Pflanzen fixiert, dient Pflanzen somit zum Wachstum und hat vielfältige andere Auswirkungen.

Zur Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre wurden an beiden Standorten sogenannte FACE-Systeme genutzt. „FACE“ steht für „Free Air CO2 Enrichment“ (Freiland-CO2-Anreicherung). Die Anlagen in Geisenheim und Gießen haben jeweils einen Durchmesser von 8 Metern im Gießener Grünland (GiFACE oder Giessen Grassland FACE; CO2-Freisetzung seit 1998) bzw. 12 Metern im Ökosystem Weinberg (Vinyard FACE in Geisenheim, CO2-Freisetzung seit 2014) und bei Feldgemüse, wobei die Feldgemüseanlage noch nicht betriebsbereit ist. An jedem Standort wurden je drei solcher kreisförmigen Flächen unter erhöhtes CO2 gesetzt, während drei genau gleich gestaltete Flächen als Kontrollen dienten. Der Fokus von FACE2FACE lag auf den Untersuchungen zu den Auswirkungen, Mechanismen und Rückkopplungseffekten erhöhter CO2-Konzentrationen und anderer klimatischer Variablen im Zuge des Klimawandels wie Wassermangel oder Erwärmung auf die Emissionen klimarelevanter Spurengase aus dem Boden, mikrobiellen Veränderungen im Boden und auf der Pflanzenoberfläche, Auswirkungen auf tierische und pilzliche Schaderreger sowie physiologische und inhaltsstoffliche Reaktionen der untersuchten landwirtschaftlichen Kulturen.

Die Forscher des FACE2FACE Projekts erzielten zahlreiche spannende Einblicke in die „black box“ unserer CO2-reicheren Zukunft. Einige Ergebnisse entsprachen den vorab formulierten Hypothesen, andere waren überraschend und ganz anders als erwartet.

Im Gießener Grünland:

  1. Die erhöhten CO2-Konzentrationen steigerten wie erwartet den oberirdischen Biomasseertrag im Schnitt um 15 Prozent. Unerwartet war, dass der CO2-Düngeeffekt vornehmlich dann auftrat, wenn es weder zu heiß und zu trocken, noch zu nass und zu kalt war. Bisher galt eher die Annahme, dass die erhöhten CO2-Konzentrationen helfen würden, Trockenperioden und Hitzewellen besser zu überstehen.
  2. Während die Artenvielfalt des Grünlands weder positiv noch negativ von erhöhtem CO2 beeinflusst wurde, ergab sich bei der Samenbank im Boden in den obersten 10 Zentimetern des Bodens eine erhöhte Samendichte; es profitierten vor allem die Arten mit generativer (nicht vegetativer) Vermehrung und solche, deren Samen lange Zeit überdauern können. Auch das mikrobielle Leben auf den Blattoberflächen der Haupt-Bestandsbildenden Arten im Grünland änderte sich.
  3. Ein noch ungelöstes Rätsel ist eine leichte, aber systematische Veränderung der Bodentemperaturen im Grünland unter erhöhtem CO2: Im Sommer sind die Bodentemperaturen unter erhöhtem CO2 verhältnismäßig kühler und im Winter etwas wärmer als in den Kontrollböden.
  4. Eher negative Effekte der gesteigerten CO2-Konzentration fanden sich auf der Seite des Elements Stickstoff, einem wichtigen Pflanzennährstoff. Wie es durch erhöhtes CO2 zu erwarten ist, sank im Grünland die Konzentration dieses wichtigen Nährstoffs im Pflanzengewebe, und somit verschlechterte sich auch die Futtermittelqualität z. B. für Wiederkäuer; der Rohproteingehalt sank. Theoretisch müsste ein Wiederkäuer mehr fressen, um den gleichen Nährwert zu erhalten, was zu höheren Methanemissionen führen könnte (dies wurde aber im Projekt nicht untersucht).
  5. Im Grünland-Boden veränderten sich unter erhöhtem CO2 mikrobielle Prozesse: Die Abgabe des starken Treibhausgases Lachgas (N2O) verdoppelte sich über die Laufzeit des Experiments. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher stellten fest, dass es zu Veränderungen in der mikrobiellen Lebensgemeinschaft im Bereich der Wurzelumgebung, aber auch im Boden insgesamt kam.
  6. Insgesamt tragen die gesteigerten Lachgasemissionen, die Abschwächung des CO2-Düngeeffekts unter klimatischen Extrembedingungen und auch die relativ wärmeren Bodentemperaturen im Winter, die den Abbau von Bodenhumus begünstigen könnten, zu den gefürchteten, sich selbst verstärkenden Rückkopplungsmechanismen bei: Die steigenden CO2-Konzentrationen setzten im Grünland Veränderungen in Gang, die „automatisch“ zu weiteren Treibhausgasemissionen führten und damit zu weiterer Erwärmung. Das „mehr an Ertrag“ führt also nicht automatisch zu einem Entzug von CO2 aus der Atmosphäre.

Das Geisenheimer Weinberg-FACE Experiment:

  1. Das Geisenheimer Experiment läuft erst seit 2014; daher stammt der erste Jahrgang, bei dem auch die Blütenanlagen schon unter erhöhtem CO2 gebildet wurden, aus dem Jahr 2015. In den Ringflächen werden zwei Rebsorten angebaut: Riesling, die für den Rheingau und Deutschland insgesamt bedeutendste Weißweinsorte, und Cabernet Sauvignon, die weltweit zweit- bis dritthäufigste Rotweinsorte. Seit Beginn des Experiments waren die ersten Jahre fast durchweg „Extremjahre“, was die klimatischen Bedingungen anging: Das Jahr 2015 war das wärmste in Deutschland und auch in Geisenheim seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Jahr 2016 hingegen wies im ersten Halbjahr die höchste je am Standort gemessene Niederschlagsumme (Januar bis Juni) seit 1885 auf, was eine Verallgemeinerung der Ergebnisse nicht erlaubt.
  2. Die phänologische Entwicklung beider Rebsorten wurde durch erhöhtes CO2 in den Jahren 2014 bis 2017 nicht beeinflusst. Die Photosynthese der Blätter und die Biomasseproduktion waren hingegen, wie erwartet, in allen Vegetationsperioden (2014 bis 2017) bei beiden Rebsorten signifikant gesteigert. Konträr zur bisherigen Literatur war die Transpiration (Wasserverbrauch) für beide Rebsorten unter erhöhtem CO2 gesteigert. Die Wassernutzungseffizienz (Verhältnis Photosynthese zu Transpiration) war trotzdem unter erhöhtem CO2 für beide Rebsorten gesteigert.
  3. Beide Sorten zeigten bisher für die Jahre 2014, 2015 und 2016 einen erhöhten Einzelstock-Traubenertrag unter erhöhtem CO2. Während die Anzahl der Trauben pro Stock nicht stieg, veränderte sich vor allem die Traubenstruktur. Länge und Breite des Stilgerüsts waren gesteigert, ebenso das Traubengewicht und die Beerenanzahl. Zudem nahm der Anteil größerer Beeren zu.
  4. Die Zuckereinlagerung wurde bei beiden Rebsorten während der Reifephasen nur geringfügig durch eine erhöhte CO2-Konzentration beeinflusst. In 2015 waren die Äpfelsäuregehalte in den Riesling-Mosten unter erhöhtem CO2 erhöht. Ansonsten führte erhöhtes CO2 bisher bei keinem der qualitätsgebendenInhaltsstoffe zu signifikant qualitätsmindernden Unterschieden in den Mosten beider Rebsorten.
  5. Um die Einflüsse auf die Weinqualität abzuschätzen, muss das Experiment noch einige Jahre laufen.  Bisher gab es keine Unterschiede.
  6. Im Geisenheimer Weinberg-FACE wurden auch die Interaktionen zwischen Reben unter erhöhtem und aktuellem CO2 und dem pilzlichen Schaderreger Plasmophara viticola(Falscher Mehltau) und dem Schadinsekt Lobesia botrana(Bekreuzter Traubenwickler) untersucht. Z. B. reagieren Reben auf eine Infektion mit Falschem Mehltauunter erhöhtem CO2 mit einer signifikant höheren Genexpression als unter aktuellem CO2. Die Mehrzahl dieser beobachteten Reaktionen ist an Stoffwechselwegen beteiligt, die bei der Synthese von pflanzlichen Sekundärmetaboliten oder in Abwehrreaktionen eine wichtige Rolle spielen (z. B. Stilbene oder Zellwandproteine). Traubenwickler-Populationen adaptieren sich physiologisch an höhere CO2-Konzentrationen und zeigen nach mehreren Generationen unter erhöhtem CO2 Veränderungen in ihrer Entwicklungsbiologie.
  7. Bisher zeigte sich in Weinbergböden unter erhöhtem CO2keine Steigerung der Lachgasemissionen wie im Grünland in Gießen.

Bei Feldgemüse (Spinat, Radieschen, Gurken) konnten die Experimente nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Hier lag der Fokus auf den Reaktionen gegenüber einem veränderten Wasserangebot ohne Auswirkungen einer erhöhten CO2-Konzentration. Hierzeigte bereits eine leichte Reduzierung des Wasserangebots signifikante Auswirkungen auf die Gehalte an ausgewählten wertgebenden Inhaltsstoffen, bezogen auf die Trockenmasse, wie z.B. Äpfelsäure und Phosphor.


Bildergalerie

Im Vordergrund ist eine Rebe, im Hintergrund die Forschungsanlage FACE zu sehen. © Hochschschule Geisenheim